Chronica (body of evidence). Biomedical technologies and abstractions of experience

#Un/ordnungsgemäße Körper
Chronica (body of evidence). Biomedical technologies and abstractions of experience
So. 4. 7. 18:3019:30

Vortrag mit Sophie Hoyle (GB), moderiert von Erkan Affan (GB)

Aufgrund eigener Erfahrungen mit chronischen Krankheiten, darunter auch ein Trauma bzw. eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), begann ich mich mit politischen Fragen zu Themen wie Beeinträchtigungen, Ungleichbehandlungen im Gesundheitswesen und der Geschichte der biomedizinischen Technologie zu beschäftigen. Krankheit und die Begegnung mit gesundheitlichen Infrastrukturen habe ich stets so erlebt, dass mein Körper mit biomedizinischem Blick vermessen und objektiviert wird, wobei Technologien eingesetzt werden, mit deren Hilfe interne körperliche Prozesse externalisiert werden sollen. Dies ermöglicht jedoch nicht unbedingt eine „direktere“ Darstellung körperlicher Erfahrungen, wie das häufig wahrgenommen wird, sondern ist lediglich eine andere Form der Mediation. Es setzt Sichtbarkeit mit empirischen „Belegen“ gleich und dadurch mit „Legitimation“, was möglicherweise wenig hilfreich ist, wenn es um die Auseinandersetzung mit und das Verständnis von „unsichtbaren“ und weniger sichtbaren Beeinträchtigungen geht. Daher begann ich mich für Bio-Hacking als Möglichkeit der Rückforderung körperlicher Autonomie und Handlungsfähigkeit zu interessieren.

In meinen Installationen und Performances kommen unterschiedliche Biofeedback-Technologien zum Einsatz, um das Ausmaß meiner Lebensängste zu messen. Dabei wird die Reihenfolge der projizierten Videos mittels Echtzeitdaten verändert und Teile der Arbeit an sich direkt oder indirekt durch körperliche Prozesse angetrieben bzw. geschaffen. Das Verhältnis zwischen Körper und Technologie ist weniger ein einseitiger als ein gegenseitiger Prozess, bei dem sich beide verändern. Auch meine Erfahrungen als queerer, nicht-binärer und zur Diaspora des Mittleren und Nahen Ostens und Afrikas gehörender Mensch fließen in meine Arbeit mit ein und schaffen einen Bezug zu anderen Formen struktureller Gewalt sowie der Frage, wie an der Schnittstelle unterschiedlicher Arten von Ungleichheit und Marginalisierung Allianzen gebildet werden können. Medizinische Diagnosen können dazu führen, Erfahrungen zu individualisieren, obwohl sie auf breitere gesellschaftspolitische Ursachen zurückgehen (z. B. Rassismus, Homophobie, Klassismus) und daher eine kollektive Erfahrung darstellen. Biomedizinische Technologie und das damit verbundene Wissen haben eine lange Geschichte, die Verbindungen und Überschneidungen mit staatlicher und militärischer Überwachungs-, Sicherheits- und Kontrolltechnik aufweist, vom polygrafischen „Lügendetektor“-Test bis hin zu Psycholog:innen, die von der US-Regierung angeheuert wurden, um Foltertechniken zu entwickeln. Technologie mag emanzipatorisches Potential haben; letztendlich geht es jedoch immer um Macht bzw. um die Frage, wer diese für welchen Zweck einsetzt.

Diese Arbeit wurde im Rahmen des Programms European Media Art Platforms (EMAP) bei Antre Peaux (ex Bandits Mages) (FR) mit Unterstützung des Creative Europe Kulturprogramms der Europäischen Union realisiert.

Erkan Affan

Erkan Affan, geboren in London, ist Kurator:in und Autor:in und lebt derzeit in Berlin. Mit wissenschaftlichen und künstlerischen Mitteln erforscht Affan die Schnittstellen von Sexualität, Gender, Migration und westasiatischer diasporischer Identität. 2018 führte Affan für die Migration Research Unit des University College London ein Forschungsprojekt über queeres Welterschaffen unter türkisch-migrantischen Communitys in Berlin durch und ließ sich im Anschluss ganz dort nieder. Seither hat Affan das Kollektiv Queer Arab Barty gegründet (2019), für Cashmere Radio eine Radiosendung mit dem Titel ORIENTation Plan kuratiert (2020) und zuletzt für den städtischen Kulturort Bärenzwinger Berlin eine Ausstellung mit Kunstwerken und Arbeiten von mehr als zwanzig Künstler:innen und Aktivist:innen zusammengestellt, die sich selbst als BIPoC identifizieren (März 2021).

Sophie Hoyle

Sophie Hoyle ist Künstler:in und Autor:in und setzt sich intersektional mit postkolonialen, queeren, feministischen Themen sowie kritischer Psychiatrie und Behinderung auseinander. Im Vordergrund steht dabei die Relation von persönlichen zu (und in Gestalt von) politischen, Individuellen und kollektiven Ängsten sowie die Frage, wie an der Schnittstelle unterschiedlicher Arten von Ungleichheit und Marginalisierung Allianzen gebildet werden können. Hoyle setzt persönliche Erfahrungen als queere, nicht binäre und der Diaspora des Mittleren und Nahen Ostens und Nordafrikas zugehörige Person in Beziehung zu weiteren Formen struktureller Gewalt. Aufgrund eigener Erfahrungen mit Behinderung und psychischer Krankheit, darunter eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), begann Hoyle, die Geschichte biomedizinischer Technologien und Behandlungsmethoden zu erforschen, bei denen es Überschneidungen mit staatlicher und militärischer Kontrolle gibt.

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